Zunehmend die Kommunikation. Visuelle Leitsysteme prägen öffentliche Räume. Die soziale Ordnung steckt voller Bedeutungen, die bildlich vermittelt werden. Was heute zum Medienalltag gehört, hat seinen Ursprung in Otto Neuraths Visualisierungssystem Isotype [International System of Typographic Picture Education]. Doch weit über die bekannten Piktogramme hinaus war Neurath vor allem ein Visionär der multimedialen Wissenskultur.
Theoretiker vergegenwärtigen in diesem Buch die Impulse aus Neuraths Visualisierungsansatz.
Otto Neurath (* 10. Dezember 1882 in Wien; † 22. Dezember 1945 in Oxford) war ein österreichischer Nationalökonom, Wissenschaftstheoretiker, Arbeiter- und Volksbildner und Grafiker. Mit Isotype entwickelte er im Rahmen seiner Museumspädagogik einen Vorläufer der Piktogramme.
Otto Neurath studierte ab 1901 in Wien und Berlin Mathematik, Ökonomie, Geschichte und Philosophie. Er wurde 1906 in Berlin zum Thema Zur Anschauung der Antike über Handel, Gewerbe und Landwirtschaft von Gustav Schmoller und Eduard Meyer promoviert. Im selben Jahr gab er das 1839 erschienene und bald vergessene Faust-Drama von Hermann Ludwig Wolfram neu heraus und versah es mit einer knapp 500-seitigen bio-bibliografischen Einleitung, die bis heute die umfangreichste Arbeit zu diesem Autor darstellt.
Als Mitglied des Ersten Wiener Kreises nahm er ab 1907 an — zunächst sehr informellen — interdisziplinären Treffen von Wiener Wissenschaftlern teil, die wissenschaftstheoretische Problemstellungen diskutierten. 1924 wurden die Treffen mit der Gründung des Wiener Kreises in eine formellere Form überführt, die eine weite Verbreitung des diskutierten Gedankengutes erschloss und letztlich zu internationaler Etablierung führte (s. Wissenschaftstheorie).
Währenddessen war Neurath von 1907 bis 1914 Lehrer der Politischen Ökonomie an der Neuen Wiener Handelsakademie. Außerdem unternahm er 1913 als Stipendiat der Carnegie-Stiftung für Internationalen Frieden Studienreisen in die Balkanregion, in der er die wirtschaftlichen Zusammenhänge der Balkankriege untersuchte und hierzu zahlreiche Schriften publizierte.
1914 bis 1918 leistete Neurath Kriegsdienst und wurde 1916 in die Wirtschaftsabteilung im k.u.k. Kriegsministerium berufen. Weiterhin habilitierte er sich 1917 in Politischer Ökonomie an der Universität Heidelberg über Die Kriegswirtschaftslehre und ihre Bedeutung für die Zukunft (s. Nationalökonomie).
Ab 1918 war er Direktor des Deutschen Kriegswirtschafts-Museums in Leipzig.
In der Bayerischen Räterepublik schlug Neurath 1919 die Gründung eines Zentralwirtschaftsamtes vor und wurde dessen Präsident.[4] Weil er in dieser Funktion den Versuch unternahm, eine geldlose Wirtschaft zu installieren, wurde er nach der Niederschlagung der Räterepublik durch preußische Truppen wegen Beihilfe zum Hochverrat für 18 Monate inhaftiert. Nach diplomatischer Intervention der österreichischen Regierung kam er wieder frei und wurde nach Österreich ausgeliefert, durfte allerdings Deutschland als persona non grata bis 1926 nicht betreten und verlor so seine Privatdozentenstelle bei Max Weber in Heidelberg.
Zurück in Österreich, gründete Neurath 1920 den Österreichischen Verband für Siedlungs- und Kleingartenwesen und wurde zu dessen Generalsekretär (s. Siedlungspolitik). In dieser Funktion widmete er sich innerhalb volksbildnerischer Ausstellungen erstmals der bildlichen Vermittlung von Wissen und entwickelte erste Vermittlungszeichen.
Im Zuge dessen gründete er 1924 das Museum für Siedlung und Städtebau, das 1925 erweitert und umbenannt wurde zum Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum Wien (GWM)[10] (heute Österreichisches Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum). Hier arbeitete er in einem Team von Experten (darunter ab 1929 der Grafiker Gerd Arntz unter Festanstellung) intensiv an der Entwicklung von Vermittlungszeichen, die, möglichst standardisiert, zu Vermittlungstafeln kombiniert wurden und im Museum zur Ausstellung kamen. Auf diese Weise entstand die Wiener Methode der Bildstatistik (s. Arbeiter- und Volksbildung). Zahlreiche Publikationen Neuraths sowie Ausstellungen des GWM und weiterer Museen flankierten diese Entwicklung und verhalfen der Bildstatistik zu internationaler Verbreitung.
Politisch seit Jahren im Austromarxismus engagiert, wurde Neurath nach der Machtübernahme der klerikal-autoritären Dollfuß-Regierung als ein Vertreter des besiegten Roten Wiens politisch verfolgt (s. Politisches Engagement). Nach mehreren Verhaftungsversuchen im Jahre 1934 sah sich Neurath zur Flucht gezwungen, als die bis dahin erarbeiteten Ausstellungsexponate des GWM einem ungeklärten Brand zum Opfer fielen; sie sind lediglich durch Publikationen indirekt erhalten geblieben. Neurath und vier Mitarbeiter des GWM emigrierten nach Den Haag, wo sie in der 1932 gegründeten International Foundation for Visual Education weiterhin an der Entwicklung der Wiener Bildstatistik arbeiteten. Diese wurde fortan als ISOTYPE bezeichnet (International System Of TYpographic Picture Education).
Vor der deutschen Besetzung flüchtete Neurath 1940 (mit nur noch einer Mitarbeiterin) weiter nach England, wo er interniert wurde. Er kam nach neun Monaten auf Intervention von Kollegen frei — darunter Albert Einstein — und ließ sich in Oxford nieder. Während einer zweisemestrigen Lehrtätigkeit an der Oxford University gründete er 1941 das Isotype-Institut, in dem die Arbeit an und mit dem Isotype fortgeführt wurde.
Am 1. Dezember 1945 berichtete die sozialdemokratische Wiener Arbeiter-Zeitung unter dem Titel Ein Wiedergefundener in warmherzigen Worten, Otto Neurath habe vor wenigen Tagen in der Abendsendung des britischen Rundfunks für Österreich gesprochen. Die Redaktion drückte die Hoffnung aus, man werde ihn wieder in Wien hören und seine Bildstatistiken sehen. Neurath starb wenige Tage später in Oxford, ohne Wien noch einmal gesehen zu haben.
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